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„Gerüstbau ist Lego für Große.“
Über den Dächern Berlins: Andreas Krebs auf einem seiner Gerüste in der Nähe des Tiergartens
S‑Bahnüberbrückungen, Gedächtniskirche, Funkturm — die Liste der Berliner Gebäude an denen Andreas Krebs gearbeitet hat, ist lang. Seit 2016 ist er Geschäftsführer des Gerüstbauunternehmens MODULE Spezial-Gerüstbau GmbH. Der gelernte Maurer und Gerüstbaumeister engagiert sich intensiv im Bereich Nachwuchsförderung. Im Interview verrät er uns, warum das Thema ihm so stark am Herzen liegt und welche aktuellen Trends und Entwicklungen es derzeit im Gerüstbauhandwerk gibt.
Wir bauen Gerüste für jedermann und für jeden Einsatzzweck. Das, was uns aber von anderen guten Gerüstbauunternehmen unterscheidet, ist unser guter Umgang mit den Mitarbeitern. Denn Gerüste werden von Menschen und nicht von Maschinen gebaut.
Das war eigentlich ein blöder Zufall. Ich hatte mich Mitte der 1990er Jahre bei einer Gerüstbaufirma beworben und die meinten, dass ich einen Gerüstbaufacharbeiterabschluss bräuchte, um bei ihnen anzufangen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt eine abgeschlossene Maurerlehre. Der Beruf hat mir allerdings überhaupt nicht gefallen. Deswegen habe ich mich für eine Umschulung zum Gerüstbauer entschieden und sofort festgestellt: Das ist mein Beruf. Ich sage immer: Gerüstbau ist Lego für Große.
Wir leiden unter dem allgemein bekannten Fachkräftemangel. Wir wollen gern qualifizierte Mitarbeiter gewinnen beziehungsweise ausbilden, um weiterhin Sicherheit gewährleisten zu können. Denn wir bauen mit unseren Gerüsten die Grundlage für alle Berufsgruppen, die danach kommen, auf unserem Gerüst stehen und abends heil nach Hause kommen sollen.
Wir müssen unsere Kunden noch davon überzeugen, dass gutes Personal Geld kostet. Dieses ist für die Montage von sicheren Gerüsten aber unverzichtbar. Natürlich ist das Gerüst nachher weg und hinterlässt nichts Bleibendes, aber es ist nun mal auch die Grundvoraussetzung dafür, dass überhaupt erstmal etwas gebaut werden kann.
Im Gerüstbauhandwerk sieht es momentan leider so aus, dass wir oft das bekommen, was die anderen nicht wollen. Da würde ich mir schon wünschen, dass sich dahingehend etwas verändert. Das liegt zum einen daran, dass das Handwerk zu wenig Imagepflege betrieben hat und zum anderen spiegelt sich da auch die gesellschaftliche Ebene: Pass in der Schule auf, sonst musste aufn Bau. Aber statt rum zu jammern, können wir auf die Straße, in die Schulen gehen und die Jugendlichen einfangen und ihnen ein anderes Bild vermitteln.
Das Thema Nachwuchsförderung ist mir sehr wichtig. Deshalb sind wir da schon sehr aktiv. Trotzdem ist für alle noch eine Menge Platz noch oben. Ich glaube, wenn wir losgehen und die Jugendlichen da abholen, wo sie jetzt stehen, können wir viele tolle Menschen für uns gewinnen. Man hört ja immer, die Jugend hat keine Lust, ist faul und unzuverlässig. Ich habe da andere Erfahrungen gemacht. Es gibt wahnsinnig viele junge Menschen, die begeisterungsfähig sind. Und wenn man denen Perspektiven und Möglichkeiten aufzeigt, dann ergeben sich attraktive Chancen auf beiden Seiten.
Seit 2015 gehe ich selbst ab und zu an Oberschulen und gebe dort Bewerbungstraining, um einerseits die Schule zu unterstützen und um andererseits eine Unternehmerseite aufzuzeigen. Denn in der Schule kann ich als jemand, der die Bewerbungen am Ende liest, noch einen anderen Eindruck hinterlassen, als jemand, der nicht aus dem Metier kommt. Das ist total spannend und macht eine Menge Spaß. Die Schüler haben auch wissbegierig alle Informationen aufgenommen und sogar die Pause vergessen. Die Schulen tun sich allerdings bisher schwer damit, weil der Berufsorientierungsunterricht knapp ist und die Lehrer das übergestülpt kriegen. Obwohl es eigentlich ein extrem wichtiges Thema ist. Vielen ist in der Schule überhaupt noch nicht klar, was sie mal werden wollen und wofür sie lernen sollen.
Außerdem haben wir zwei bis dreimal im Jahr eine neunte Klasse zu Besuch bei uns, die vor Ort ein kleines Gerüst baut. Zweimal im Jahr kommt dann noch eine sechste Klasse zu Besuch. Wir sind zudem Kooperationspartner vom Schulpaten.
Wir haben in unserer Firma aktuell nur Frauen im Büro. Bei meinem Azubi sind jedoch Mädchen in der Berufsschulklasse. Ich würde total gerne zu meiner geplanten Azubikolonne eine zweite, reine Mädchenkolonne haben. Einfach weil ich der Meinung bin, dass Mädchen in unserem Handwerk einen Platz haben.
Ich denke aber auch, dass uns die Politik hier unterstützen muss, gesellschaftliche Lösungen zu finden. Die Begrenzung des Gewichtes auf 15 kg, welches Frauen aktuell maximal tragen dürfen, ist beispielsweise nicht mehr zeitgemäß. Beim Einkaufen trägt man teilweise viel mehr. Es gibt einige Jungs, die das nicht schaffen würden und genauso viele Mädchen, die es aber schaffen würden. Das macht es Frauen im Handwerk generell sehr schwierig. Wir brauchen zukünftig aber mehr Frauen, da viele Männer in andere bisher klassische Frauenberufe wechseln, wie z.B. Erzieher.
Sie müssen auf jeden Fall höhentauglich und körperlich fit sein. Außerdem ist Mathematik elementar. Ob es die Aufstellung einer kleinen Statik ist, die zur Überprüfung dient, ob mein Bauteil hält oder ob ich Materialbestimmungen mache, wie viel Material ich auf der Baustelle benötige – das Rechnen findet täglich statt. Auch Physik sollte man beherrschen. Wie ist der Kräfteverlauf und was passiert in dem Material selber, wenn es belastet wird. Außerdem muss man eine Zeichnung lesen können und ein räumliches Vorstellungsvermögen besitzen. Das alles lässt sich in der Ausbildung aneignen. Teamfähigkeit spielt ebenfalls eine große Rolle in unserem Handwerk.
Das höchste Gerüst, das wir mal gebaut haben, war ca. 115 Meter und das größte Gerüst von dem ich mal gehört habe, um die 170 Meter hoch. Irgendwann sind natürlich Grenzen gesetzt. Das untere Teil wäre ab einer gewissen Höhe nicht mehr kräftig genug. In dem Fall baut man Zwischenebenen aus dem Rohbau heraus, auf die man dann wieder Gerüste stellen kann. Den Fernsehturm könnte man zum Beispiel nicht von unten bis oben mit normalem Gerüstmaterial einrüsten.
Die Kernarbeit wird hoffentlich noch eine Weile Handarbeit bleiben, denn das kann keine Maschine leisten. Aber Digitalisierung spielt in der Dokumentation eine immer größere Rolle. Und auch in der Erfassung von Informationen. Bei Bautagesberichten oder Arbeitszeitnachweisen hat sich beispielsweise unheimlich viel getan.
Ein weiterer Trend ist der, dass man früher generell zweckmäßiger gebaut hat. Heute dagegen ist Bauen Kunst. Viele Elemente kann man teilweise mit herkömmlichen Mitteln kaum noch berechnen. Ich kann mich zum Beispiel an die Pinakothek in München erinnern, bei der die Statik dreidimensional errechnet werden musste. Am Ende konnte das nur ein Computerprogramm leisten. Mit Taschenrechner und Skizzenblock wäre das nicht gegangen. Heutzutage wird zudem immer mehr Stahl und Glas verbaut. Da müssen wir natürlich auch unsere Gerüstkonstruktionen im besonderen Hinblick auf die Sicherheit anpassen.
Ich finde es ganz toll, dass viele Künstler den Gerüstbau seit einiger Zeit für sich entdeckt haben. Wir werden beispielsweise regelmäßig vom Panoramakünstler Yadegar Asisi gebucht. Der hat 2011 den Gerüstbau im Rahmen der Panorama-Pergamon für sich entdeckt. Das war eine große Ausstellung, die extrem gerüstlastig war. Demnächst werden wir für ein Projekt nach Rouen fahren.
Außerdem sind wir Kooperationspartner einer Schule mit der wir einen Berufetag organisieren möchten. Der soll Schüler schon ab der siebten Klasse ansprechen. Ich finde nämlich, dass es in der neunten Klasse schon recht spät ist, um mit der Berufsorientierung anzufangen.
Ich erhoffe mir, dass ich zukünftig noch mehr junge Menschen für unsere Branche begeistern kann. Früher hieß es ja immer: groß, stark und blöd. Davon sind wir lange weg. Das, was man an Muskeln braucht, wächst von allein auf der Arbeit. Davon braucht man gar nicht so viel. Aber wir brauchen helle Köpfe, die uns die Gesellschaft, siehe Künstler oder findige Bauherren, abverlangt. Mich würde es außerdem ungemein freuen, wenn es die einzelnen Insellösungen zur Berufsorientierung mal irgendwann als einen großen Zusammenschluss geben würde. Ich glaube dennoch, dass die Zukunft fürs Gerüstbauhandwerk rosig aussieht.